„MORGEN, MORGEN UND WIEDER MORGEN“ (Roman) von G. Zevin oder die grausige Genialisierung des „GameDesigns“

Videogames oder digitale Spiele werden im Nachfolgenden als Games bezeichnet. GameDesign meint im Allgemeinen (englischsprachig) das Design von Regeln von Spielen – ist also ein Teil der Spielentwicklung. Diese umfasst das Entwickeln von Story, Visuellem, Auditivem, Programmierung und Spielregeln. Im Folgenden wird der Begriff GameDesign ausgeweitet auf den gesamten Entwicklungsprozess. Begründung: es geht in jedem der Teilprozesse, um das Definieren von Regeln. Games sind heute multimediale & interaktive Produkte und werden mehrheitlich von mehreren Personen mit verschiedenen Skillsets entwickelt.

GameDesign/-Dev im Spiegel der narrativen Medien

Wie steht es ums Gamedesign heute? Oder um die Gamedevelopment-Szene? Dabei gibt es eine Innensicht der Szene und die Sicht der Gesellschaft auf Games und das GameDesign.

Die Aussensicht wird mit dem Aufstieg der Games in der Gesellschaft gespiegelt in den Mainstreammedien wie Film, Serien oder auch Büchern. Bis das Gamedesign im Mainstream auftauchte, brauchte es natürlich einige Jahr(eher zehnt)e, da sich bekanntlich die Konsumgesellschaft fast nicht für das Entstehen ihrer Konsumprodukte interessiert – ausser es gibt einen faden Nachgeschmack beim Konsumieren – etwa Kinder genähte Schuhe oder die offensichtliche Unnachhaltigkeit. Im Gamedesign sind die grössten Verschluckthemen – Clones, Kitsch, Arbeitsbedingungen (Crunchtime, männliche Umfelder) oder stereotypes Design bzw. toxisches Verhalten/Diskurse wie (https://en.wikipedia.org/wiki/GamersGate)

GameDesigner* als Figuren treten seit Längerem auf in Filmen (Wenn sie auch hier in asiatischen Ländern wie Südkorea Gamedesigner* inzwischen zum Standardrepertoir gehören) oder Serien (etwa zu letzt im Fokus in Mythic Quest). Und nun sind sie auch im Mainstream, der eher intellektuellen Bücher in den Blick bzw. unter die Tastatur geraten. Davon zeugt zumindest das Buch „MORGEN, MORGEN UND WIEDER MORGEN“ von Gabrielle Zevin.

Die linearisierte Story (nach bestem Wissen und Gewissen rekonstruiert)

Im Text ist die Story von Vor- und Rückgriffen durchzogen und macht dadurch den Eindruck komplex zu sein (ähnlich wie in vielen aktuellen Serien wird dabei thematisch gegliedert und die Spannung ‚konstruiert‘ und konkret der Text in die Länge gezogen.).

Die Story von M,MuwM erzählt sich linear folgendermassen rund um die zwei Protagonisten* (danach 4 Protagonisten* Dov, Marx):

Sam: Ist ein Südkoreanisch/Japanisch-stämmiger Junge. Seine Mutter kommt bei einem Autounfall wegen einem Reh (Sam ist im Auto) ums Leben und so so kommt er zur Grossfamilie an die Ostküste der USA. Durch den Unfall ist sein Bein lädiert und heilt auch nicht mehr ganz.

Sadie: Stammt aus der jüdischen Middle/Upperclass an der Ostküste und hat eine ältere Schwester Alice.

Sam und Sadie treffen sich in einem Krankenhaus, wo Sam wegen einer der vielen Operationen ist und Sadie weil sie ihre ältere Schwester Alice in Leukämiebehandlung besuchen ‚muss‘. Sam und Sadie lernen sich übers Consolenspiel kennen und Sam beginnt wieder zu sprechen (er schwieg nach dem Autounfall). Sam zeichnet auch Labyrinthe für Sadie. Sadie nutzt ihre neue Freundschaft und lässt sie sich als obligatorische gemeinnützige Arbeit für ihre Batmiza anrechnen. Davon erfährt Sam von Alice. Es kommt zum Bruch.

Beide studieren, Sam in Harvard Mathematik, Sadie am MIT Informatik – beides in Boston. Sie sind sehr gute Studierende. Ab und zu sehen sie sich von weitem an Parties. Woher das viele Geld fürs das Elite-Studium kommt, das man in den USA benötigt, wird nicht klar.

Sadie besucht einen Game Design Kurs 1994 am MIT. Der arrogante (israelische) Dozierende Dov – er hat das erfolgreiche Spiel DEAD SEA (Spezielles Zombiespiel) entwickelt in einer eigenen Engine – unterichtet dort und gibt vor: Macht aussergewöhnliche Spiele. Als erstes entsteht eine Art Gedichtspiel und als zweites entsteht ein politisches Aufbauspiel „Solution“ von Sadie. Bei diesem muss der Spieler* eine Firma optimieren (man kann allerdings auch Informationen kaufen zum Hintergrund des Spiels), wo sich allerdings herausstellt, dass es eine Nazifirma ist im 3ten Reich. Dov ist begeistert und Sadie wird vorübergehend zur Geliebten (Dov ist verheiratet und „will sich“ scheiden lassen).

Zufälligerweise trifft Sam auf Sadie am Bahnhof und Sam spricht sie an, wobei Sadie ihm zum Abschluss „Solution“ auf einer Diskette gibt. Er spielt es mit seinem WG-Kollegen Marx. Marx ist ein Upperclass Student (English dann Wirtschaftswissenschaften), der gerne schauspielert und Sam in seine Obhut genommen hat. Marx ist japanisch und amerikanisch mit koreanischen Wurzeln. Seine Mutter war Textildesignerin und Dozentin. Und auch dieser ist begeistert.

Sam will mit Sadie ein Spiel machen und so kommt es dann. Sie entwickeln „Ichigo: ein Kind des Meeres“ ein Spiel, um ein Kind, das alleine im Meer treibt und seine Eltern finden muss. Es orientiert sich stark an japanischer Grafik und die Frage: Geschlecht, kein Geschlecht wird zur grossen Diskussion. Technisch war es „ein 2 oder 2.5 D Game“.

Die Ziele sind wie in vielen Teams unterschiedlich: „Für Sam bedeutete gross dasselbe wie beliebt. Für Sadie war es Kunst.“ S. 106

Dov hilft einen Publisher zu finden und liefert die GrafikEngine. Dafür muss Sadie zu Kreuze kriechen wegen Sam. Die Beziehungskiste von Sadie wird aufgewärmt, es geht dieses Mal bis ins Sadomasochistische. Marx wird der neue Producer und „Geschäftsführer“ ihrer Firma „Unfair“. Das Spiel wird ein Erfolg mit 2.5 Mio Verkäufen. Sam geht auf Verkaufs- und Promotour. Sam erscheint nun in den Augen der Öffentlichkeit als der Macher. Sadie findet das Ganze unfair.

Sams Fuss verschlimmert sich zunehmend, weil er sich vernachlässigt. Ihre Firma nennt sich Unfair Games. Darstellung der Diskussionen im Buch.

Sadie verlässt Dov. Sie ziehen alle nach LA-Californien. Sam lässt sich seinen Fuss amputieren. Fühlt sich schlecht, arbeitet wenig und leidet unter Phantomschmerzen und vermutlich einer Anpassungsdepression, die wiederum auch körperlich spürbar ist.

„Sie [Sadie] sortierte die CD-Hüllen und buchähnlichen Pappschuber ins Regal ein: Commander Keen, Myst, Doom, Diablo, Final Fantasy, Metal Gear Solid, Leisure Suit Larry, The Colonel’s Bequest, Ultima, Warcraft, Monkey Island, The Oregon Trail und drei dutzend weitere Spiele“ S. 248

Das nächste Spiel wird Both Sides im Jahr 2000. Sadie entwickelt mit neuem Team (Wie die Firma konkret funktioniert, wer da arbeitet ausser den Protagonisten bleibt unklar) eine eigene Engine. Hier lebt die Figur Alice-Rose in einer idyllischen Kleinstadt Mapletown (zuständig Sam) und einer Fantasiewelt Myre Landing (zuständig Sadie). Die Figur erkrankt an Krebs. Man spielt die Athletin Hürden laufen etc. In Myre Landing einem mittelalterlichen Städtchen bricht parallel eine Seuche aus. Kann im Fantasieland die Seuche gestoppt werden? Dann gelingt auch das Besiegen des Krebs, so die Idee. Das Spiel wird je einzeln entwickelt.

„Endlich sah sie (Sadie) sich an einem Punkt, an dem ihre Visionen und ihre Fähigkeiten in Einklang waren. Sie war erschöpft, wie immer nach einem Spiel, aber sie war noch nie so zufrieden mit ihrer Arbeit gewesen. Irgendwie war sie in alle Anwesenden verliebt.“ S.282

Kritiken sind durchwachsen. Finanziell?

„In der ersten Verkaufswoche brachte Both Sides nur ein Fünftel von dem ein, was sie mit Ichigo in den ersten Tagen verdient hatten“, S. 288

Die Diskussionen, Auseinandersetzung und Misstrauen nehmen zu. Sam: „Du bist mir wichtiger als alles andere. Aber bereue ich, dass ich Ulysses wollte? Bereu ich, dass wir reich geworden sind und jetzt so ziemlich alles machen können, was wir wollen, sogar schlecht durchdachte, prätentiöse Kunstspiele wie Both Sides. Nein“, S. 294

Simon und Ant zwei neue Mitarbeiter stellen ein Spiel vor und Unfair wollen es mindestens 1 Mio mal verkaufen, nur der Titel „Doppelgänger“ passt ihnen nicht. Es heisst am Ende Counterpart und wird auf Anhieb ein Bestseller 2001. Counterpart 2 soll entwickelt werden. Simon und Ant werden zum Paar.

Das Spiel Both Sides wird doch noch gerettet, indem daraus ein Multiplayer-Online Game Mapleworld gemacht wird mit Bürgermeister Mazer (Sam). Eine schöne neue erfolgreiche Welt.

„war Mapleworld genau das, wonach die Leute sich im Spätherbst 2001 sehnten. Eine virtuelle Welt, die gerechter, freundlicher und verständlicher war als die Realität“ S. 357

Die Firma ist immer genau am Puls der Zeit – etwa nach dem 9. September 2001 in den USA.

Sadie verliebt sich in Marx und umgekehrt. Wieder Krise bei Sam. Sam findet einen Hund, der wie ein Coyote aussieht und befreundet sich mit ihm.

Sadie will das Spiel „Master of the revils“ über das Theater machen: „Es ging darin um die Aufklärung des Mordes an Christopher Marlowe. Sadie war auf die Idee gekommen, nachdem Marx gesagt hatte, es gäbe keine guten Spiele über Theater“ S.367

„Du bist gemein“, sagte Sadie. „Muss es denn immerzu darum gehen, ein möglichst breites Publikum zu erreichen? Ist das der einzige Grund, ein Spiel zu machen? Das würde mich interessieren.“ S.367

Sadie ist schwanger mit dem Kind von Marx. Eines Morgens stehen zwei Gamer vor der Tür und möchten Sam sehen, der ist nicht da (Promotour mit Sadie) und so töten sie Marx, weil Sam homosexuelle Ehen ermöglicht hat in ihrem Onlinespiel MarpleTown.

Sadie kommt nicht mehr ins Büro. Sie entfremden sich wieder. Sam führt die Firma weiter und bringt weitere erfolgreiche Spiele heraus. Sadie entwickelt ihr Theaterspiel und es wird (selbstverständlich) ein Erfolg.

Sam entwickelt ein OnlineSpiel auf der Basis von Oregon Trail (Natives kommen keine vor) und begleitet anonym die im Game ebenfalls schwangere Sadie. Sadie findet es heraus und ist nun ganz auf Abstand. Sie fühlt sich hintergangen und lässt sich sterben im Spiel.

Sadie übernimmt die Stelle von Dov am MIT und unterichtet und zieht ihr Kind auf. Dov bringt Sadie dazu sich mit Sam zu versöhnen als Sams Grossvater stirbt (Das ist der Mann mit dem Pizza-Restaurant in K-Town mit Donkey Kong Automat). Sie treffen sich bei der Beerdigung das erste Mal.

Sie treffen sich wieder und diskutieren, wie es weitergehen soll. Sam will ein neues Spiel machen.

Ende der Geschichte.

Story

Die Story erzählt letztlich die Geschichte von 2 Persönlichkeiten, die aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft kommen und sich übers Gamen kennenlernen und Spiele entwickeln. Die Beziehung ist dabei brüchig und schwierig. Dennoch raufen sie sich immer wieder zusammen und entwickeln trotz ihrer speziellen Eigenart grossartige und gut verkaufbare „künstlerische“ Spiele mit sozialen Anliegen! und das ab den 90er Jahren. Prinzipiell klappt alles perfekt bis auf ihre Beziehung und das Shooting. Es ist in einem gewissen Sinn ein traurige amerikanischer Traum rund um die Frage von „Team-Genialität“. Wobei nie klar wird, was genau GameDesign spezifisch ist an ihrer Beziehung. Vielleicht das Gamen sie zusammenhält und gemeinsame Werte schafft?

Authentizität, Repräsentation & Geschichtsklittering

Beim Lesen – gerade aus einer historischen Perspektive – erscheint die Story überkonstruiert, zu sehr als eine ‚gewollte‘ Story – eine Art Beziehungsmärchen eines Künstlerteams. Die Story erscheint als eine Art tragischer amerikanischer Traum im Kreativschreiben oder einer Schreibwerkstatt (wie viele aktuelle Bücher). Denn realistischer Weise war die Zeit 1994 nicht reif für die ausgedachten Spiele und es gab – soweit bekannt – fast keine solchen Spiele. Dass diese Spiele wie Ichigo dann auch noch ein weltweiter Erfolg werden würden – ist schlicht unwahrscheinlich.

Im Mainstream war 94 gerade die Zeit der Homecomputer – unter anderem mit ihren Point-and-Click-Adventures – zu Ende und 3D drängte in den Markt. Alles musste 3D sein, wie es 2D-Strategiespieldesigner einmal zu Protokoll gab. 3D war auf den Heimcomputern weiter – neben Iso-3D – entwickelt worden von Wireframe über Polygon3D bis zu Texture-3D. Und so kam konsequent Doom 3D 1993 auf den Markt und 1993 Myst. Dies trieb nun den (PC-)Markt.

Die ersten Games von M,MuM scheinen in 2(.5)D gemacht worden zu sein. Also nicht gerade ein visuelles Genre mit Verkaufszahlen zu jener Zeit.

Mitte und Ende der 90er Jahre legt dann die GameArt/ArtScene nach entwickelt sich als eigene Kunstform. Darum scheint es aber auch bei M,MuM nicht zu gehen oder nur ganz am Rand (Beispiel etwa hier: Jodi https://en.wikipedia.org/wiki/Jodi_(art_collective)).

Hätte man die Story rund um 2000 angesiedelt, wäre sie immer noch unwahrscheinlich gewesen, aber immerhin ein bisschen plausibler. Aber so erscheint die Story quasi als ein Märchen, wie es hätte sein können, aber nie war. Wobei das ein Problem dieses Buches ist: Es sagt es nicht, sondern schreibt diese Fiktion in die Geschichte der Games als quasi Avantgardisten der Scene. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es für Games und soziale Probleme damals ein Publikum gegeben hätte im Mainstream. Künstler* mit sehr sozialen und politischen Anliegen treten (neben der GameArt/ArtGames Szene) erst um 2000 auf – etwa wie Molleindustria. Diese erreichen ihr Publikum aber meist über Flash und sind nicht kommerziell erfolgreich (wollen es auch nicht).

Am Ehesten kann man diese Scene (im Mainstream) ereignet haben rund um 2004 beim Aufstieg der neuen Indiescene mit Figuren etwa wie Auriea Harvey & Michaël Samyn von Tale of Tales (https://en.wikipedia.org/wiki/Tale_of_Tales_(company)) – auch ein Kunst/Designerpaar. Hier waren die Engines das erste mal frei verfüg- und ohne Nerdkenntnisse handelbar (vgl. Unity3D). Damit lassen sich auch verkaufbare Games erstellen.

Dabei wäre die eigentliche Frage eher ‚Warum ist es damals nicht passiert?‘ ‚Warum wären/waren ähnliche Spiele nie erfolgreich?‘ Und hier erzählt die Geschichte nicht von Technikfeindlichkeit (Europa) oder gar die Probleme, die es gab in Sachen Akzeptanz und den Magic Circles der Gamekultur überhaupt.

Klarer wird das Ganze, wenn man das Kapitel „Danksagung – Anmerkung und Dank“ sich anschaut, hier sind verdankswerterweise, die Einflüsse aufgeführt und da ist dann nicht viel, was nicht Mainstream ist. Die Realität ist eher: Nichts war wirklich erfolgreich, das vom Weg abkam und so ist letztlich Catch&HoldFire (eine Serie über die PC-Industrie und einige Abtrünnige) ehrlicher, weil es vom unendlichen Scheitern dieser Zeit spricht.

Möglich wäre natürlich auch noch früher einzusteigen: In den Jahren von Plato Systems oder 1985 mit Spielen wie Dolphins Rune. Aber darum kann es auch nicht gehen, denn die sind eher Kunst und waren schon gar nicht finanziell erfolgreich.

Narrative Mechanik

Die Story wirkt unendlich konstruiert. Es scheint fast so, als hätte hier jemand Kreatives Schreiben und Schreibwerkstätten ein bisschen allzu ernst genommen. Und darüber hinaus versucht alles in einen Roman zu bringen. Von Einwandern in den USA mit ihren Problemen, über Religion und Probleme, zu kreativen Teams, Hunden, Ost- vs Westküste, Eliteunis, zu Krankheit, Amputation, zu Sex, zu Beziehungen, zu Mainstream Games, zum Spiel als Metapher, zu Gamergate, zu Massakern, zu den Siedlern und Pionieren Amerikas, zum amerikanischen Traum. Interessant, wie man all diese Themen in ein Buch bringt.

Das Interessanteste in der Erzählungsmechanik ist fast noch der auktoriale Erzähler*, dieser gibt ab und zu Querverweise von Damals zum Heute.

Vermittlung von Gamedesign

Das Buch – und das ist eine der wenigen Sachen die klappen – vermittelt die Problematik vom gemeinsamen Entwickeln einer Idee bis zum Game. Dies wird anhand von Sadie und Sam aufgezeigt. Diese haben beide eigene Skills (die sich teilweise überschneiden) und nutzen diese um zumindest anfangs ‚gemeinsame‘ Spiele zu entwickeln. Sie streiten, diskutieren und entwickeln Ideen weiter. Dabei bleibt der Text meist auf der Metaebene der Gameentwicklung hängen, indem angerissen wird, um was es geht.

Das Spieleentwickeln wird auf einer Konzeptebene behandelt und erfahrbar gemacht. Dies ist natürlich eine Verniedlichung, denn die Brutalität besteht darin aus Konzepten ein Produkt, ein Spiel mit Spielmechanik zu machen, dass beim Spielen Spass macht. Dieser Spass besteht aus Visuellem, Auditivem, Storytelling, Gamemechanik und Programmierung. Dies wird meist nur umrissen und wenig konkretisiert. Diese Arbeit verschwindet meist in Textstellen, dass sie „Monate lang dran waren“. Darüber hinaus ist auch die Idee ein gutes einleuchtendes Konzept sei schon ein gutes Spiel naiv. Das zeigt jede Konzeptpräsentation eines Games. Auch dass eigentlich jedes Spiel ein Erfolg wird in diesem Buch ist eher amerikanischer Wunsch/Ideologie als die Realität heutiger Spielentwicklung und Vermarktung.

Genialität – Künstlerteams

Es gibt eine lange Geschichte des Verhandelns, was Künstler* (vor allem Männer) ausmachen. Man muss dazu nicht Rosshalde von Hesse lesen – aber auch da geht es um die Frage: Sind Künstler* so besonders, dass sie sich rein auf die Kunst konzentrieren müssen oder nur das können oder allgemeiner: ist ihr Schaffen nur möglich (auch als Beruf), wenn sie sich total in ihrer Kunst verlieren – quasi als totalitäre Arbeit begreifen. Gibt es dann nur „wahre“ Kunst?

Im Buch M,MuM geht es indirekt auch um diese Frage, aber um die Frage des platonischen „Künstlerpaars“ Sam und Sadie. Sie sind (vertraut man der Fiktion) richtig gut, wenn sie zusammen arbeiten und einander vertrauen. Und selbstverständlich leiden beide und das bringen sie dann auch in ihre Games ein, die sie so grossartig und verkaufbar machen. Der Fuss von Sam wird dabei zum Pars pro Toto, zur Defiktionalisierung seines Drangs, seiner Leidenschaft. Alles geradezu platt im Vergleich zu anderer Literatur und bekannt aus der klassischen Literatur.

Genialisierung

Der Text betreibt geradezu wahnhaft eine Genialisierung und ‚Verkünstlerisierung‘ dieses kreativen Paars und des GameDesigns. Es fängt damit an, wie übergut sie waren in der Schule, wie sie an den besten Unis studieren. Wie sie immer die Cleversten waren und daraus folgt dann anscheinend auch, dass sie gute verkaufbare Spiele machen können (Als wäre es so einfach) gegen alle körperlichen Widerstände. Man kennt diese Art des Geniekults leider in der Literatur wie auch der Rezeption zur Genüge. In diesem Roman ist es neu auf Gamedesinger* ausgelegt. Man wünscht sich da fast MysticQuest zurück, das sich lustig macht über diese Gott-Gehabe aus der Game-Entertainment-Industrie. Aber es hört in diesem Roman nie auf und ironisierend scheint es nirgendwo zu sein. Dabei gibt es viele Gamedesigner*, die richtig gut über ihre Produkte herziehen können – eine Kritik bis zum „Sadomasochismus“ betreiben. Denn irgendwann kann der Creator* die Kreation* einfach nicht mehr sehen, geschweige denn spielen. Testen tötet letztlich jedes Spiel. Und das ist Teil vom Prozess des Entwickelns.

Als Leser* kann man all die Grossartikeit und den Erfolg dann irgendwann nicht mehr hören. Aber vielleicht ist das auch nur ein Problem der Gamedesign-Szene. Die Realität steht zu Anders dagegen. Der geneigte Leser* wünscht sich dann, dass alles ein Traum war oder ein Spiel. Das wäre auch kein gutes Ende, aber es gäbe wenigstens eine Erklärung für diese gestreamlinte Spielgeschichte. So bleibt dem Leser* dann irgendwann nur noch die Ausflucht in eine Autorinnen-Interpretation. Und da sind die Parallelen zur Autorin leider dann schon ’sichtbar‘ – allein schon im Klappentext. Aber letztlich müssen Bücher wie Games eben weitergehen, als nur biografisch verstehbar zu sein.

Das Wage

Um das alles zu erzählen, bleibt die Geschichte im Wagen. Es geht nicht wirklich um das Handwerk, die lähmenden Stunden, das NichtVorwärtskommen, das Trial and Error – die Spielmechanik. Es ist ein Erzählen, wie wenn es ein Film wäre oder die Produktion irgend eines anderen kulturellen Produkt. Kein Code, keine Tools. Alles löst sich auf und alles gelingt. Dabei wird es genau da hässlich und konkret. Hier hilft die menschliche Engine Psyche alles aufzufüllen und zu ergänzen.

Und so scheint man als Leser* akzeptieren zu müssen, dass selbst ein Spiel, das nicht so gut läuft, lässt sich als Multiplayer retten und wird zum digitalen Biedermeier-Renner. Games als Eskapismus – auch nicht wirklich eine neue These oder eher Realtität. Und jedes Spiel wird wiederum wichtig – sei es im 3DBereich oder/und als OpenWorld-Spiel. Wo in Catch&HoldFire immer Scheitern da ist, ist in M,uM immer der Erfolg da. Ein Traum – wenn es den Protagonisten nicht schlechter gehen würde: Toter Ehemann, Depression, kaputtes Bein und Einsamkeit. „Kunst muss leiden.“ Das ist auch der vom auktorialen Erzähler* durchsetzte Text. Der gute Subtext dazu: Gamen hilft, alles zu überstehen. Aber auch das ist ein modernes Märchen.

Leben und Spiel – keine Metapher

Die zwei Protagonisten spielen die Spielszene rauf und runter – vor allem den Mainstream und ja es gibt auch einen Indiemainstream ab 2008. Es gibt fast nichts, was ein Spieler* nicht kennt. Es kommen auch keine Geheimtipps vor, sondern nur das Spiel als allgemeines Medium. Man giert ja inzwischen danach, etwas zu lesen über ein wirklich interessantes Game. Aber nein. Das Spiel wird bei Sam und Sadie – wie bei vielen – zur Metapher für das Leben im Sinne von ‚Könnten wir doch einfach reloaden.‘ Jeder* kennt das. Es liegt nahe. Und der Grund dafür liegt natürlich im Spiel und unserem Alltag selbst. Auch da gibt es Magic Circles (Homo ludens), Regeln und zu denen gehört halt nicht das „Reloaden“ nach dem Tod. Das meint auch – so zumindest der Titel des Buches: Morgen, Morgen und Morgen vom Theater ins Game übersetzt: Im Game kannst du immer reloaden.

Und so würde ein Ausspruch eines Weimarer Studierenden um 2000 besser passen: „Das Leben ist ein Adventure mit einer verdammt guten Grafik, aber einer Scheiss Story“.

Vergessene „Indianer“ oder OregonTrail

Ein wichtiger Punkt im Buch ist auch die Herkunft. Bei Sadie führt vor allem ihr jüdischer Glaube zu Freiwilligenarbeit und so lässt sie sich ihr Spielen mit Sam anrechnen. Seltsame Plotkonstruktion. Bei Sam spielt sein Herkunft Halbwaise mit abwesendem Vater und seine Koreanische/Japanische Herkunft zu Fragen von Integration und Problemen. Die Mutter war Schauspielerin, aber es gibt nur sehr wenige sehr stereotype Casts für asiastisch aussehende Frauen – am Ende arbeitet sie in einer Gameshow. Sam arbeitet sich also hoch auch als Aussenseiter.

Im Roman kommt wiederholt OregonTrail vor. OregonTrail wurde ab 1971 entwickelt als EducationProgramm für Kinder. Dabei geht es darum, dass man als Siedler* loszieht und die Dinge einkaufen muss für die Fahrt nach Westen – das Gold wartet. Und dann geht es los, dabei kann es zu allem kommen, was damals 1847 so Problematisches passieren kann: Hunger, Räuber, Überfall mit/ohne „Indianer“.

OregonTrail ist auch für die Protagonisten ein interessantes Spiel und so entwickelt Sam sogar eine Multiuser-Version vom Ende der Reise und der Neuansiedlung im digitalen Oregon. Dieses Spiel spielt auch unwissend Sadie und trifft dort auf die Avatare von Sam (Einsiedler, Augenärztin). Heiratet da sogar eine weibliche Avatarin Augenärztin von Sam und Sadie kriegt ein virtuelles Kind. Sie ist allerdings extrem wütend durch diese Manipulation, dass sie noch weniger von Sam wissen will. Man* könnte hier eine leise Kritik am Game als Löser aller Problem sehen. Man* könnte.

Dabei spielt OregonTrail im Roman offensichtlich auch auf der Ebene des Themas Einwandern und sich Niederlassens eine Rolle – da kommen Personen aus Asien in die USA (Migration) – das Game wird dabei zum neuen schönen Land der Möglichkeiten und Restriktionen. Das Game ist quasi das schöne richtig gute Amerika. Zusätzlich schwingt die Design-Ebene mit: Gamedesigns als Pionierland.

Das digitale Neuland

Schaut man sich die Idee des digitalen neuen Landes an – also die IngameWelten, so wird schnell klar, dass die Wirklichkeit erst in diese Welt gebracht werden musste. Sie wird konstruiert und erfahrbar gemacht – dazu sind die Game-Engines da. Im Cyberspace gibt es dieses Land ja gar noch nicht. Es handelt sich also nicht im ersten Moment um eine Kolonialisierung eines besiedelten Landes. Die Welt war frei und für alles zu haben.

In OregonTrail geht es allerdings um ganz was anderes. Hier kommen Siedler* an und nehmen das Land, das schon durch amerikanisches Natives bewohnt war für sich ein. Die Folgen sind bekannt, es war ein Blutbad auf dem amerikanischen Kontinent nach 1491. Dies kommt überhaupt nicht vor im Roman – wie fast alles Politische ausser der Ehe für Homosexuelle. Stattdessen sind die Neuankömmlinge irgendwie die ersten, die da sind. Auch spielt es keine Rolle, dass dieser neue Raum wie das Analoge funktioniert (mit Ausnahme eines extre Reise-Portals). Die USA und ihre ‚Ideologie‘ der Frontiers wird einfach digital verdoppelt. Dabei wäre soviel mehr möglich. Und hier zeigt sich dann massiv die Konservativität dieses Ansatzes von Game und was Spiele hier sind: digitaler Biedermeier. Hier geht es nicht um Kritik, sondern um digitale Wohlfühlzone. Dadurch fällt die Sadie-Sam-Oregon-Welt noch weiter zurück als OregonTrail, wo es wenigstens „Indianer“ – wenn auch westlich böse (kommunistische) Natives – gab. Man hofft fast schon darauf eines Tages ein Spiel zu sehen, aus der Perspektive der ermordeten Natives der USA im Sinne von Die Söhne der großen Bärin (https://www.youtube.com/watch?v=-FiSiBrGsfE). Natürlich nicht finanziert von der DDR oder China.

Emanzipation

Als Sadie am Ende des Buches den Kurs von Dov am MIT übernimmt, stellt sie sich ins Klassenzimmer und sagt genau das, was auch Dov zu ihr gesagt hat. Emanzipation scheint was anderes zu sein.

Und mehr gibt es über dieses Buch eigentlich nicht zu sagen. Es zeigt ethnologisch, wo wir als GameDesign in der Aussenwirkung gerade stehen. Und selbstverständlich wird ein Teil der Szene das wieder wunderbar finden mit Worten wie: Jetzt kommen wir wenigstens vor .-) Aber auch diese Szene wird eines Tages merken, dass es um mehr gehen muss als die Ausbeutung des Gamedesigns und Anerkennung anders aussieht, als nur ‚Inhalt‘ sein.

Szenen für ein Buch oder Film übers Gamdesign

Hier noch Findings, was für Szenen in einen Gamedesign Film/Buch sollten:

Gamedesigner* diskutieren über ihr nächstes Spiel – Brainstorming
Gamedesigner* diskutieren über Spielmechaniken
Hasserfüllte Gesichter bei der Diskussion von Grafiken in einem 4er Team: zwei dafür, zwei gegen die Vorschläge
Ein stündige Diskussion, wie nun die Kamera sein müsste.

Sollen wir Heldenreise als Konstrukt einbauen?
Scrum oder Wasserfall?
„Verdammt den Typen kann man einfach nicht brauchen“ Chefs* über ihre Mitarbeiter
Zwei Coder streiten sich über, wie es implementiert werden müsste.
Ein Coder sucht 2 Stunden einen Bug
Diskussion über Indiegames, obwohl alle Mainstreamspiele spielen.
Diskussion eines Teams über die Bücher, die sie lesen.
Diskussion, was Kunst ist am Mittagstisch.
Zwei Gamedesigner* treffen sich in einer Gallerie und schauen moderne Kunst an.

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