Visuologen – GameArt in ihrer Kolonialisierung durch die Ausstellungskunstszene

Gesellschaften bestehen wie Spiele letztlich aus Regeln, die von Menschen prozessiert werden, das ist bekanntlich die Grunderkenntnis des Buches Homo Ludens. Elektronische Spiele (hier genannt Games) werden zusätzlich noch von Computern prozessiert (KI included) und laufen dann nicht mehr rein nur auf Menschen, wie etwa ein Gesellschaftsspiel.  

Wenn sich Gesellschaften ändern, ändern sich auch Regeln oder mit Luhmann – Das System aktualisiert sich. Passiert dies auch gerade im Bereich GameArt? Es scheint so. 

Nach Jahrzehnten des Nichtbeachtens und aktivem Verhindern, gibt es nun verschiedene Ausstellungen zum Thema GameArt, die bewusst die breite Masse anvisieren und auch da ankommen. Beispiele: die Ausstellung ‚Radical Gaming‘ (HEK Basel) oder gerade aktuell WORLDBUILDING VIDEOSPIELE UND KUNST IM DIGITALEN ZEITALTER. Die nachgelagerte Verwerter der Museen die klassischen Mainstreamedien wie etwa Wochenzeitung Die Zeit ziehen in Artikeln wie „Worldbuilding“: Videospiele als Kunst im Museum mit. 

Stephan Schwingeler gibt indirekt eine Antwort als These im Katalog von „Radical Gaming“: Es gebe nun eine neue Generation von Künstlern*, die lustvolle GameArt hervorbringe, während die davor eher die Regeln dekonstruiert hätten und Meta waren (Man verzeihe mir hier die Verkürzung). 

Ist dies tatsächlich so? 

Über die Wertung, die der Text macht, gehe ich hier bewusst hinweg, da Katalogtexte immer eine Textsorte für sich sind. Der Katalog enthält auch noch eine andere nicht einengende Darstellung von GameArt entlang der Geschichte mit Fokus Regelnwerke. Dieser Text wurde von B. Suter und dem Autor dieses Blogeintrages verfasst.

GameArt – ein Spiel mit Regeln

GameArt war schon immer sehr breit aufgestellt, war ein Spiel mit und um Regeln und hatte fast alle Facetten zu bieten, die es gab – von Jodi bis Moleindustria. Man braucht viel Wissen um die Kunst zu verstehen bis zu fast keinem Wissen um Games. Es gab GameArt, die die Innereien rauskehrten und spielbar machten bis zu Games die Themen aufnahmen oder dann Games de- und reterritorialisierten etwa als Ingame-Fotografie.  All dies hat Jahrzehnte lang praktisch niemanden interessiert (mit einigen Ausnahmen selbstverständlich).  Und das obwohl das Grundmedium schon länger da war und ein Kulturgut war. 

Die Games und die Mitte der Gesellschaft

Die Games kamen ab den 80er Jahren in der Mitte der Gesellschaft an mit den kaufbaren Homecomputern (1. Welle: C64, 2. Welle: Atari ST, Amiga mit Maus) bei Interessierten (unter anderem Jugendlichen). Die dritte Welle erreichte dann die Nicht-Technologiekritischen Kreisen in den 90ern. Grafische Oberflächen machten spätestens mit dem WWW (ab 93) für den breiten Mainstream jenseits der Konsole spielbar. Erst in den Nuller-Jahren – als es nicht mehr zu leugnen war, setzten sich die Games dann auch sonst durch. Natürlich nicht so, dass Zeitschriften heute selbstverständlich über Games schreiben, wie sie über Filme oder Bücher schreiben, aber es war nicht mehr leugbar. Man hält sie einfach weitgehend draussen. Eine Kanonisierung von interessanten kulturellen Games findet in Mainstream Medien immer noch nicht statt.

2000 – 20 Jahre GameArt

Zu diesem Zeitpunkt (um 2000) gibt  es GameArt seit mindestens 20 Jahren (und wir reden hier von Kunst und nicht der Kunst auf Mainframes)! 

Es ist also Verblendung und Ignoranz, wenn heute 2022 nach 40 Jahren davon gesprochen wird, dass Games in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Ehrlicherweise hiesse es: im Mainstream des Mainstreams sind Games angekommen und in den Game-toxischen Hallen der Museen (Die Ausstellung Worldbuilding kommt auch tatsächlich mit diesem peinlichen Allgemeinplatz noch jetzt). 

Zeitgenössische Kunst – aber 40 Jahre lang keine GameArt und Medienkunst?

Man darf eher fragen, warum sind die meisten Museen einem ihrer Aufträge 40 Jahre nicht nachgekommen, Kunst auf der Höhe der Zeit auszustellen bzw. spielbar zu machen! Klar sie haben es ja mehrheitlich nicht mal in Sachen Medienkunst geschafft auf der Höhe zu sein! Sie zeigen noch heute Najum Paik und meinen den Sektor abgedeckt zuhaben. Und den Rest der Szene speist man damit ab, dass man sagt Medienkunst: Ist doch Performance, das war nicht gedacht, dass es länger als 1 Tag, 1 Jahr läuft. Paik restauriert man aber fleissig! Einer für Alle. Aber nichts für alle.

Aber man liest auch nirgendwo Entschuldigung. Es ist eher stolz da, es auch geschafft zu haben. Warum bestraft hier die Geschichte eigentlich niemanden? 

Dies wird aber dann auch nicht damit kompensiert, dass man zurückschaut, nein es wird so getan, als fange es gerade erst an. Das Kunstsystem schreibt einmal mehr seine eigene passende Geschichte. Konkreter: Das bürgerliche Kunstsystem schreibt sich seine eigene passende Geschichte.  

Warum setzt sich GameArt  nun gerade jetzt ‘durch’?

De facto sieht die Sache wohl eher umgekehrt aus. Die Künstler* haben sich so lange wund gescheuert bis sie so blutig waren, dass sie ins museale System passten oder noch akurater – eine neue Generation da war, die ‘passte’: Heute bedient die ‘neue’ GameArt halt den Mainstream. 

Nicht zufällig wird in der akutellen WorldBuilder Ausstellung etwa der Aspekt des Visuellen von Jodi rausgestrichen. Dabei war etwa Molleindustria schon immer lustvoll. Aber wer möchte pädophile Priester vom Sex mit Kindern abhalten oder auf Frauen Pong spielen? Dass es hier sich nicht um lustvolle Kunst handelt, ist letztlich nicht nachvollziehbar, eher das sie kritischer war und direkter. Werden heute noch Anti-War-Mails per Mausklick in einem Shooter verschickt? 

Aktuelle GameArt ist konsumierbar geworden und zwar auf allen Ebenen der Regelwerke. Die Leute können die aktuelle GameArt verstehen. Etwas was moderne Kunst glaube ich noch nie als Anspruch hatte. Hier wird es zum Verkaufsargument. Wobei es den Verantwortlichen* dann auch nicht peinlich ist, Peinlichstes im Bereich der GameArt auszustellen bzw. einzuordnen, um was es da geht. Sie kennen die Szene der Games halt anscheinend einfach nicht und auf diesem Layer spielt die aktuelle GameArt halt. Aber die teilweise überalterten Zuschauer* nicken dann und zeigen Verständnis. Sie hören es das erste Mal. Hier verliert Kunst dann wirklich die letzte Rechtfertigung bzw. rechtfertigt sich dadurch das sie ‘nützlich’ ist.  Das ist dann keine Kunst sondern Vermittlung der Gamekultur. Kontextualisierung sollte nicht als Kunst verkauft werden – ausser man redet halt von Kultur. 

Visuologen – fokussiert auf konsumierbare visuelle Regeln

Was wir heute sehen (und das wörtlich) ist die Fokussierung auf die visuellen Regeln. Auf vermittelbare Prozesse in Bildern. In der Gameindustrie nennt man dies EyeCandy. Die Austellung am HEK und auch WorldBuilding würde konsequenterweise auch besser Eye Candy heissen, stattdessen klaut man sich einen wichtigen Begriff heraus wie WorldBuildung und labt sich an der sehr fragwürdigen GameIndustrie, ohne es zu verstehen. Ausstellungen werden halt von Menschen gemacht, die verstehen müssen, was sie da tun und die das verkaufen müssen. Anders als die Kunst, die sich seit Staigers Diktum raushält, aus dem Werdegang, sollte man sich die Kuratoren anschauen dieser neuen Begeisterung für GameArt. Es lässt tief blicken. 

Ein Kurator* sagte auf den Einwurf, dass da ja alles visuell sei. Er sei halt Architekt. Viel besser kann man gar nicht zeigen, was hier passiert. Dass dies nicht nur eine einseitige Sicht ist, lässt sich sogar über Jahrzehnte nachverfolgen im Portal für ‘GameArt’ gamescenes.org. Hier verdrängen über die Jahre die visuellen GameArt-Projekte in Umfang, die mehr auf andere Aspekte fokussierenden Bereiche bis letztlich nur noch diese Art von ‘Kunst’ übrig bleibt bzw. reproduziert wird. Let’s play Kunst im Museum. Ganz krass bezieht sich das auch auf nachgelagerte Gamekunst etwa Ingame-Fotografie oder -Filming. Hier ist geradezu eine Industrie entstanden, die mit ihren klassischen Verfahren die GameArt kolonialisieren und penetrieren. 

Selbstverständlich macht die Wissenschaft da munter mit, was nicht problematisch wäre, würde die Kunst – die irgendwo spielen könnte nicht der GameArt den Platz streitig machen. Und wenn man diesen Weg dann richtig, dann erklären wir Bruegel zum GameArtist, weil er auch mal spielende Kinder dargestellt hat. 

Kunstsystem: Gewartet bis der passende Content in der GameArt da war

Anders gesagt: Die arivierte Kunstszene hat so lange gewartet, bis nun endlich der Content zu ihnen und ihren magischen Denk- bzw. Verbreitungskanälen passt. Die Kolonialisierung der GameArt erinnert in frappanterweise an den Machtkampf zwischen den Narratologen (Universitäres Establishement) und den Ludologen (Emporkömmlinge. Fokus Regeln). Jetzt drängt ein weiterer Player aufs Feld – die Visuologen. Diese fokussieren in der erweiterten Spielmechanik auf die visuellen Regeln und wenn es hoch kommt auf die sozialen Regeln rund um ein Spiel (was allerdings GameArt schon immer gemacht hat). 

Statt dem Linguistik-Turn (hinter dem jede Regelmechanik steht im Sinne der Universalmaschine von Turing) wollen nun Aestheten wieder zurück in die Aufmerksamkeitsökonomie bzw. sich den Content sichern. Die Bananen kleben wieder in Laufmetern an den Museen, art-toxischer geht es kaum. Aber gefeiert wird wie eh und je. Verstanden scheint man aber trotzdem, noch nichts zu haben. Und das funktioniert auch nur, weil man 40 Jahre zu spät dran ist! Es zeigt natürlich auch, was Games sind, sie sind das Supermedium, das sie alle zum Spezialfall macht vom Ton übers Bild bis zum Film. McLuhans ‘The medium is the message’ ist die Grundmessage dabei, das neuste Medium simuliert sie alle. Es sind Regelwerke von Texten über Bilder bis zum Film oder Architektur. Begriffen haben es die Kuratoren* noch längst nicht. Die Idee vom Cyberspace stirbt gerade in den Gehirnwindungen von Kuratoren* einen langen hässlichen Tod.

Digitaler Biedermeier – Ironie, die keine ist

Wohin dies führt? Das kann man in all diesen Ausstellungen sehen, erleben. Ethnologisch sehr interessant! Es ist sehr oft nicht zufällig digitaler Biedermeier. Und zwar auf allen Ebenen von Bild zu Ton zur Mechanik. WORLDBUILDING. Die als Ironie gedachten GameArt-Spiele sind eigentlich gar nicht ironisch, denn die Szene hat diese Bilder längst schon überholt in Sachen Ironie. Mehr als ein zynisches Lächeln über soviel Naivität bleibt da oft nicht. Die aktuellen gehypten GameArt-Artefakte sind meist nicht mehr als der digitale (visuelle) Biedermeier seiner selbst.  

Sammel- und Verkaufbar – alles ausser Interaktivität

Darum hier noch ein Still aus Düsseldorf in seiner ganzen Naivität – lustvolle GameArt im Frame des DieZeit-Artikels. Es lebe der digitale Biedermeier. Es lebe die Ausstellungsszene! Linearisiertes Vergnügen. Das ist nicht GameArt, das ist Kunst über Games und nicht Mit- und in Games. Aber es ist Sammel- und Verkaufbar. Ein linearisierter stereotypisierter Begriff von Kunst „in Endlosschleife“.

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