Die Digitalisierung ist ein schwieriger Transformationsprozess, der seit 40 Jahren andauert und gegen den sich grosse Teile der Gesellschaft lange Jahre (zum Teil zu Recht) gewehrt haben. Letztlich geht es um die tiefgreifende Ablösung der auf Menschen-prozessierten-Medien zu auf Computern-prozessierten-Medien, die dann wiederum vom Menschen bedient, genutzt werden. Und selbstverständlich viele neue Anwendungen möglich machen. Die Corona-Pandemie hat nun die letzten Zweifler* zumindest zu Nutzern* gemacht.
Digitalisierung im Mainstream – Ausstellungen
Dass dieser Prozess nun ganz unten und/oder ganz oben angekommen ist, zeigt etwa die Tatsache, dass das Museum für Gestaltung in Zürich eine Ausstellung zum Thema „Planet Digital“ für nötig befand (https://museum-gestaltung.ch/en/ausstellung/planet-digital/) – davor hatte sich ja schon das Landesmseum des offensichtlichsten Teils der Digitalisierung (und auch am meist bekämpften Teil) den der elektronischen Spielen bedient mit ihrer GAMES-Ausstellung (Glosse dazu auf http://www.gamelab.ch/?p=7111).
Planet Digital – Ausstellung im Museum für Gestaltung
Die Ausstellung im Museum für Gestaltung ist eine Ausstellung für die Masse und das Hier und Heute und erweckt den Eindruck einer aktuellen Bestandesaufnahme zu sein. Wer die Ausstellung betritt – die des öfteren interaktiv ist – wird zuerst einmal visuell grossflächig bespamt und beeindruckt. Die Bildergalerie der Universität Zürich (Mitentwicklerin dieser Ausstellung) bringt das gut rüber:
https://www.news.uzh.ch/de/articles/2022/planet-digital/gallery.html#bild-3-9
https://www.planetdigital.ch/de/
Das Digitale so scheint es, hat die Oberflächen schöner gemacht, bildschirmiger gemacht. Und so ist denn auch alles „ästhetisch“. Dieser Eindruck ist natürlich auch richtig und wichtig, waren Visualisierung/Bildgebende Verfahren etwa 3D Visualisierung ein Verkaufsargument, ein Oberflächenphänomen der Digitalisierung, mehr Kontrolle über die Erscheinung zu gewinnen. Oder fundierter der Cyberspace ist ein voll kontrollierter und gesteuerter Raum (Jedes Spiel zeigt dies. Es regieren die visuellen Regeln oder ihre Verfechter die Visuologen). Man könnte auch sagen: die Transparenz der Informatik spielt hier voll mit (Man muss nicht wissen, was dahinter passiert). Die Ausstellung thematisiert dies nicht – jede Thematisierung von Tools fehlt (soweit ich gesehen habe). (Einige Ausstellungen folgen diesem Trend – etwa auch das HEK in Basel mit ihrer Ausstellung „Radical Games“ auch hier mehrheitlich Oberfläche.)
Die Visuologen – Obefläche ist alles
Die Ausstellung (man sollte links gehen am Anfang der Ausstellung!) geht von einer Übersicht des Digitalen Entwicklung über verschiedene Stationen von Handkeilen, der Entwicklung der Maus über die Ästhetisierung eines Rechenzentrums, einer Skulptur alter Rechner, einem Zeichenungsroboter, defiktionalisierte sich bewegende AIs, das Problem der Umweltverschmutzung, Energiekonsum, verschieden sortierbare Plakate (AI?), Games und ihr Potential, ein visuell interaktives Plakat, Überwachung und Algorithmen und der digitale Tatort im Film dann zum Ende – einem Roboter, der fast schon niedlich lächerlich weil altmodisch wirkt. (Die Realität ist natürlich um ein vielfaches Hässlicher heute. Immerhin hat China mit seinen Social Credits eine totalitäre Gamifizierung in Betrieb genommen für eine ganze Gesellschaft.)
Die ganze Liste ausgestellter Artefakte findet sich hier: https://museum-gestaltung.ch/en/ausstellung/planet-digital/
Leistungshow des Digitalen?
Irgendwie erscheint es das ganze dann doch als Leistungshow und der Eindruck kommt von der Konzeption. Das Konzept dahinter (so zumindest der Eindruck): Eine ganze Reihe von Universitäten, Hochschulen und Partnern setzten sich zusammen und präsentieren je ihr eigenes Forschungs-/Kunstfeld und präsentieren etwas Kritisches bis Unkritisch zum Thema Digitalisierung. Es ist dann auch kein Wunder ist in dieser Ausstellung alles ‚Schön‘ mit eingestreuten kritischen Aussagen.
Dennoch oder gerade darum hinterlässt auch diese Ausstellung wie viele vor ihr einen faden Beigeschmack. Es ist dann doch gefälliger Konsum.
Das Verdrängte: Maschinen, Programme, Source-Code für Computer und Hypertext
Was fehlt hier? Was wird hier verdrängt? Was wird hier nicht gezeigt? Nicht visualisiert? Oder anders gesagt, vor was drückt sich die Gesellschaft alias das Teilsystem Vermittlung/Diskussionsort „Museum“?
Man kann es einfach auf den Punkt bringen: Der ‚hässliche‘ Code, das Rezept für Computer, das was die Digitalisierung eigentlich ist. Der Code an die Maschinen, unsere neuen Sklaven, die das Ganze am Leben erhalten! Die Befehle, die in der Ausstellung magisch „Algorithmen“ genannt werden.
Der Prozess der Digitalisierung ist ein komplexer Prozess, der eben nicht nur Oberfläche ist. Guggerli ETH Zürich hat diesen Prozess in seinem Buch mit dem sperrigen Titel „Wie die Welt in den Computer kam“ beschrieben. Dabei ist der Titel Programm: „Wie kam die Welt in den Computer“ (Blog dazu). Die Ausstellung tut das Gegenteil und sie drückt sich um die Kulturtechnik, die Sozialisierung von Technologie und ihre völlige Umwandlung. Darum fehlt in der Ausstellung auch konsequent jeder Source-Code! Es fehlt das nicht fassbare Dahinter. (Dasselbe findet man etwa in vielen Gamesausstellungen mit dem völlig fehlenden Punkt Spielmechaniken.)
Vom Auf-Menschen zu auf Computer-Laufende-Medien
Die Digitalisierung ist letztlich die Digitalisierung des Menschen zur Turing Maschine / Universalmaschine, einem einfachen Buchhalter mit Stift und Papier. Es ist die Kybernetik der 30 Jahre in der Realität, unserer Realität. Es geht um automatisch prozessierte Regelsysteme, die das erst möglich machen. Die Ausstellung zeigt in ihrem Ausgestellten ethnologisch und ethnografisch, was die Digitalisierung so erfolgreich gemacht hat, die Technologie dahinter ist anscheinend verschwunden. Sie ist im Hintergrund, im Handy, im Server (Server?) und ist damit handhabbar geworden. Nun ist sie durchsetzbar, weil sie niedlich und nett ist, was sie nie war. Die Digitalisierung wird zum Oberflächenphänomen und eine Ausstellung zum digitalen Planet schafft es, daran kleben zu bleiben. Ihr fehlt das digitale Herz! Sie ist letztlich nur GUI (Was die Computertechnologie ab 1985 sehr erfolgreich machte und mit dem WWW explodieren liess).
Diese digitale Welt ist nur möglich, weil millionenfach Programme warten, endlos warten auf Eingaben oder weil sie endlos vor sich hinrechnen. Selbst ein banales Programm wie Excel wartet bis der da draussen – genannte – User* etwas tut. Computer, Computerprogramme sind unsere kleinen je eigenen Sklaven, Maschinchen mit weissen Handschuhen.
Es sind diese Dinge, die den digitalen Planeten ausmachen, ihn möglich machen und ihn auch shapen, ihn so radikal verändert haben. Vieles vom Planeten Digital hängt an der Universalmaschine. Aber dieses Key-Element fehlt an dieser Ausstellung völlig. Oder metaphorischer: Es ist eine Gesellschaft, die sich nicht für ihr Dahinter interessiert, so lange es funktioniert. Und das Tragische: Anscheinend fehlt in all diesen Museum weiterhin die Kompetenz und das Knowhow in dem Bereich bzw. das Bewusstsein der Entscheider* dafür. Es scheint als würde weiterhin die Oberfläche reichen, zumal diese Fassbarer geworden ist. Dabei haben die Museen aufklärerisch zu sein!
So verwundert es denn auch nicht, dass ein weiteres Phänomen, fehlt: der Hypertext in seiner Version des HTML/WWW.
Zeitgeistausstellung ohne Theorie dahinter
Wir leben zunehmend in einer „zum Server gewordenen Welt“ und tun weiter so, als sei das nicht so. Wir tun so, als wäre Digitalisierung nur etwas visuelles, handhabbares, als wäre alles nur visuell wahrnehmbar und damit spiegelt die Ausstellung unbewusst natürlich den Zeitgeist, der sich jahrzehntlang kaum mehr um Theorie, um Ideen dahinter gekümmert hat. Und diese Theorielosigkeit der letzten Jahre holt uns ja gerade ein von den liberalen Theorien, der zunehmenden Ungerechtigkeit, dem Ende Geschichte oder dem Klimawandel.
Es geht eben doch um Mechaniken, um Source Codes und Programmiertes auf Menschen oder Maschinen.
Darum hier noch als Letztes ein Bild des Source-Codes von Photoshop 1.0, entwickelt mit der Programmiersprache Pascal Pro von Niklaus Wirth (ETH Zürich). Viele Bilder sind sicherlich mit/und Photoshop entstanden.
Und für diejenigen, die bis hier gelesen haben. Selbstverständlich ist Source Code heute auch interaktiv, auditiv erlebbar etwa im visuellen LiveCoding von Music oder Graphiken.