Radical Games? Bestandesaufnahme: Sieg der „Visuaolgen“ (Updated 28. Sept.)

Motto dieses Artikels: „Das Gute an der Blog-Szene heute ist, dass die Blogs niemand mehr liest.“

https://hek.ch/en/program/exhibitions/radical-gaming

Das Haus der Elektronischen Künste HEK in Basel ist eines der wenigen Orten in CH, in denen elektronische Kultur/Kunst öffentlich und als Programm im Titel des Hauses verhandelt wird (davor war es das Plugin in Basel). Die Konkurrenz ist dabei nicht etwa im Aufbau, was bei der gesellschaftlichen Digitalisierung ja nötig wäre, sondern im Abbau. So musst vor einem Jahr das MUDA in Zürich schliessen. Dem HEK wird das vermutlich nicht so schnell drohen, zu sehr ist in Basel das schlechte Gewissen sprich das kulturelle (Repräsentations-)Engagement der Chemie/Versicherungsbranche (stiftet einen Preis am HEK) und ihrer Stiftungen sicht- und spürbar. Von grossen Museen ganz zu schweigen, deren Auftrag dies unter anderem auch wäre.

Die spärlichen öffentlichen Ausstellungsorte bekommen aber zunehmend Konkurrenz von Gallerien, die sich auf Medienkunst spezialisieren, etwa die Gallerie Roehrs&Boetsch in Zürich, die es immer wieder schafft auch (Web-)Medienkunst als Galleriekunst zu etablieren. Daneben bleibt natürlich auch noch das Netz, in dem sich mehr abspielt und verhandelt wird als in den wenigen Gallerien.

Nichts desto trotz spielen Ausstellungsräume eine wichtige Rolle, denn Medien etwa wie das SRF scheinen nur so in der Lage zu sein, Themen an Ausstellungen zu portraitieren und Themen nur über Ausstellungen wahrzunehmen und zu vermitteln (Wir schreiben das Jahr 2021!).

https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:7f5e1fe6-aeeb-44fa-9e37-85d164e107b7

Ein zweiter Beitrag findet sich hier (Wobei hier sich die Frage stellt, geht es um Serious Games (also nicht um GameArt/Artgames als SeriousGames? dann wird es richtig kompliziert. Denn dann gibt es jenseits des Mainstreams noch sehr sehr sehr viel mehr, was diese Ausstellung nicht anspricht). Aber man höre und lese selbst:

https://www.srf.ch/kultur/kunst/ausstellung-radical-gaming-hier-kann-man-nichts-gewinnen-und-niemanden-besiegen

Radical Games?

Radikale Spiele? Die Ausstellung ist letztlich ethnologisch und kunsthistorisch interessant, weil sie zeigt, wo die öffentliche Diskussion/Diskurs um Games und Gamekunst steht, nämlich nirgends.

So ist allein schon der Aufhänger symptomatisch. Sie zeigt einen weiblichen Bodybuilder Orc im Kornfeld und sieht dies ‚anscheinend‘ als Ironie. Ironie, die sich natürlich gut visuell vermarkten lässt. Das zeigt sich sowohl am Plakat wie auch an der Auswahl bei SRF. Das Grafische lässt sich verkaufen – dabei ginge es bei Games ja um weit mehr (Regeln, Interaktion, Spielmechaniken, Systeme). Ironisch ist aber dabei, dass der Mainstream seit Jahren das Genre Walking-Simulator bietet, die nichts anderes tun als das, was hier ‚ironisiert‘ wird. Also ironisch ist hier letztlich wenig (für Nicht-Gameinteressierte natürlich schon). Tragischer wird es dann, wenn eine Besucherin darauf hinweist, dass diese seltsame Mischung aus Frau und Bodybuilderin in Kalifornien „Alltag“ ist.

Hier importiert Europa wieder einmal Stereotype aus den USA ohne sie als solche zu erkennen (den Orc erkennt man erst beim zweiten Hinsehen) und vergisst gleichzeitig, dass es Gang und Gäbe ist, in Spielen die Möglichkeiten des (seit 20 Jahren etablierten) Customizens der Avatare bis zum Exzess zu treiben (Was darf man in Japan, was in Europa customizen). Es ist quasi das Spiel der Spieler*innen mit ihrem vordefinierten Möglichkeitsraum. (Kein Meeting ohne Penisfiguren, die hinten rumwuseln in SecondLife damals).

Statt Narratologen, Ludologen die Sieger: Visualogen

Geht man durch die Ausstellung wird schnell klar, was hier vermittelt wird: Es geht um das visuell Fassbare. Es ist fast so als hätten am Ende weder die Narratologen(Story-Betonenden) noch die Ludologen (RegelBetonenden) gesiegt sondern die Visuellen, die „Visuaologen“. Und so erstaunt es dann auch nicht, dass wieder einmal (der Schmäh ist schon Jahrzehnte alt) ins Mikrophone gesprochen werden kann, um ein Gamewelt zu verändern. Wenn diese Ausstellung etwas zeigt, dann diese Verschiebung ins rein Visuelle auch in der GameArt/Artgames/Autor*games. Spiele als klassische „ästhetisches“ Erlebnis. Hier entdeckt eine Ausstellung so manch altes als neu.

Das proklamierte Neue

Aber was ist nun neu hier in dieser Ausstellung ausser, dass es dargestellt wird? Ein Text im Katalog gibt dazu Auskunft. Das Neue sei, dass die früher GameKunst/ArtGames mehr Welten destruiert, (Game-)Systeme gezeigt hätten (Jodi etwa) und nun komme eine neue Generation, diese lasse auch die Kunst zum „Joy“ werden. Also eine Verschiebung von den Bedingungen des Mediums zum Inhalt.

An der Ausstellungseröffnung sind dann auch mit ihren Arbeiten vor allem jüngere Menschen zu sehen und als solche werden sie präsentiert: Eine neue Generation, ein Aufbruch, von oben bis unten sehen sie nach Künstler*innen aus – was man sich so vorstellt. Und diese stehen dann an der Eröffnung auch dem durchweg älteren Publikum und Mäzeenvertretungen* gegenüber. Das Ganze wirkt fast wie eine Art Generationenkonflikt. Aber vielleicht ist das auch die Metamessage: „Seht her das versteht auch ihr als Publikum.“ Ein Kniefall folgt man dieser These.

Richtig witzig wird es, wenn das Haus dann die Ausstellung historisch ‚ironisiert‘. Denn: um 2000 zeigte Studer / Van den Bergen eine Alplandschaft (auch in Hotel Vue des Alpes) an der Viper (eine Veranstaltung, die die Basler Szene zu tote torperdiert hat) und man konnte im Werk von S/v dort durch fasziniert detaillierte Gegend mit Blumenweiden gehen, also einen Tick weniger Kitsch als das viel gezeigte und rezipierte „Ausstellungsgame“. Passieren konnte da auch nichts – was damals moniert wurde. Digitaler Biedermeier avant la lettre muss man heute sagen. Diese Kunst, die das HEK nun feiert und jetzt wird es ganze interessant selbst sammelt(!), ist teilweise genau da und dabei vergisst die Ausstellung auch noch all die Zeiten von SecondLife 10 Jahre später, wo es in weiten Teilen um nichts anderes ging als den WalkingSimulator (aus heutiger Sicht). Das Neue darf halt nicht so aus dem Alten kommen. Das wäre ja Geschichte.

Kunst über/mit/in Games

Aber ist das wirklich die neue Generation, die neu unterwegs ist? Oder ist die Wahrheit – nicht zugespitzt auf diese Ausstellung – eher: Es gab immer in der GameKunst/ArtGames und Autorengames verschiedenste Richtungen? Gab es nicht immer schon die „Über“-Game-Kunst, die „Mit“-Gamekunst und die „In“-Gamekunst? Und da muss man sagen: Ja. Es gab von Anfang in den 70ern? (hier steht die Erforschung von Plato und Co noch aus)/80ern an immer all dies. In Ausstellungen landet von Anfang an natürlich zuerst eher die Kunst, die sich kritisch mit Games auseinander setzte, die viel Vermittlung benötigte, die hinterfragte, Regelwerke auch anders erfahrbar machte, Interaktion anders hinterfragte oder die Geschlossenheit von Gamesystemen zeigte.

In all diesen Kategorien ist die Ausstellung letztlich reaktionär und nicht nur visueller Biedermeier sondern auch Kunst-Biedermeier.

Aber der Vorteil dieser ‚Neuen‘ ist: Sie sind verkauf- und verstehbar, sie sind unverbraucht und sie bewegen sich vermehrt im „Joy“ des Mainstreams, bedienen schöne lustige 3D-Welten, holen das Publikum ab, wo sie sich gerade befinden im „Das-Kenne-Ich“. Blenden „Funktionalitäten“ aus – auch nicht gerade der letzte Schrei. Sie sind aber auch letztlich „sammelbar“. Was das HEK unter sammel- und anschaffbar sieht, kann man sich im Pax-Preis anschauen. Es handelt sich mehrheitlich um verkaufbare Installationskunst. Es wird noch lange gehen, bis Kunst auch rein digital sein kann ohne Installation. (NFT ist dabei keine Ausnahme, da es hier auch um analoge Eineindeutigkeit geht).

Im Weltflow

Damit steht man natürlich nicht alleine da, sondern ist Teil einer seit Jahren anhaltenden Bewegung, der Bewegung zum Visuellen. Die Gamekunst/GameArt/ArtGAmes und Autorenspiele fangen schon früh an – vermutlich in den 70er Jahren auf Mainframes – und zogen sich weiter über die 80er Jahre (Installationen, Homecomputer), 90er mit vielen Onlinespielen in Flash hin zu 3D und so fort. Immer auch mit dabei kritische Installationspiele.

Die Geschichte danach lässt sich sehr gut anhand von Gamescenes.org (Onlineportal) ablesen. Waren die Formate offen inhaltlich (Formate, visueller Stil, Interaktivität, Experiment) in den Ausstellungen so verschiebt sich seit etwa 5-10 Jahren der Fokus zum Visuellen. So findet man heute fast ausschliesslich Ausstellungen, die Visuelles betonen. Die Games sind damit angekommen, wo der Mainstream ist.
https://www.gamescenes.org

Das zieht sich hin bis zur Ingame-Fotografie, die nun erstehbar für alle ist. Wobei man sich nicht mal die Mühe nimmt, sie als Stills zu bezeichnen. Die Aneignung der Spiele hat begonnen oder anders gesagt: Die Aneignung beginnt von vorne in den klassischen verstehbaren Kategorien.

Und die Radikalität?

Radikalität ist etwas, was sich auf System und damit Werte bezieht. Nun könnte man sagen: Im Ausstellungsbetrieb sei die Ausstellung radikal. Allerdings ist dem nicht so, ausser man überschriebe dabei die Geschichte der GameArt/Kunstgames/Artgames der letzten 30 Jahre und ihre wenigen Ausstellungen.

Wer also „Spass“ haben möchte, hier und heute und etwas Radikales spielen möchte, der kann sich etwa bei einem der jüngeren Veteranen/Klassiker (2007+) der Szene frei bedienen. Molleindustria: Von Operation „Pedopriest“ über MacDonalds oder poetisch „Every day the same dream“.
https://www.molleindustria.org

Aber vielleicht ist das dann zu wenig bürgerliche Erbaungskunst, weil man zwar Spass hat, aber dann und wann eben irritiert wird und sein Weltsystem hinterfragen muss.

Als Alternative zur Ausstellung bieten sich übrigens auch die Gamestudies an. Etwa das Projekt „Horror-Game-Politics“. Hier geht man der Frage nach, welche „radikalen“ Ideen sich in klassischen Mainstream Games finden. Auch hier ist einiges radikaler als gedacht:
https://hgp.hypotheses.org

Aber wer weiss, vielleicht wird es in 20 Jahren eine Ausstellung geben, die die neuen Jungen zeigt und die dann die letzten 20 Jahren schon wieder mit demselben leicht anderen überschrieben hat. Natürlich dann schöner, mehr Polygone, besseres Raytracing und härter am Wind. Der GameArt/Artgame und Autorenszene ist es auf jeden Fall nicht zu wünschen.

Klebrig sind sie diese Polygoneoberflächen, da blickt niemand darunter.

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