Als Game Designer oder Designerin schaut man sich Spiele immer mit mindestens 3 Augen und damit aus mindestens 3 Perspektiven an. Die erste Kultur-Perspektive befasst sich mit der kulturellen Einbettung des Spiels (Wie ist das Spiel eingebettet, wie verankert es sich, welche Metaphern kommen zum Einsatz), mit dem zweiten Spieler-Auge spielt man das Spiel (Macht es Spass etc) und mit dem dritten Auge sieht man die Konstruktion des Spiels(Spielschemata, Spielmechanik, Kreisläufe, Leveldesign, Visuals etc).
Paintball ist dabei ein spezieller Fall aus der kulturellen Perspektive. Das Spiel wird wie die digitalen Kriegsspiele (vgl dazu „Werbung für (FirstPersonShooter-)Games – ein Spielchen mit dem Feuer“ ) im Bereich Krieg oder sportliches Kriegsspiel eingebettet. Die „Metapher Krieg“ hilft dann schnell vermeintlich „zu verstehen“. Ins Spiel kommt man, indem man sich als Gruppe anmeldet. Dadurch ist mehr oder weniger gewährleistet, dass es sich um eine ähnlich interessierte Gruppe handelt (Man vergleiche dazu ein Spiel mit völlig Unbekannten). In unserem Fall waren dies ein interessiertes Duzent Gamedesigner und -designerinnen, von denen der eine oder andere gerne auch digitale Firstpersonshooter spielt. Die meisten der Teilnehmer hatten keine militärische Ausbildung „genossen“. Die Gruppe traf sich in einem Paintballcenter in einer grossen Industriehalle in der Nähe von Luzern. Schon der Eingang machte klar: Es geht um Frauen, Waffen und vor allem Militär (Ikonografie: Tarnanzüge, Gewehrattrappen bis hin zu Totenkopfmasken).
„Grundausbildung“
Die „Grundausbildung“ fürs Spiel wurde vor allem in Videos abgehandelt, die etwa gleich schlecht (qualitativ) wie die der Schweizer Armee produziert waren: langweilige Bilder, fade gesprochen – einzig eine Frau (vermutlich PR im Sinne von „das Abwesende“) kam im Video vor und führte die Sachen vor. Man hätte einen Overall anzuziehen, eine Kappe für die Haare (es geht ja um Farbkugeln), dann einen Helm und Hanschuhe. Ansonsten sei man nachher . Darunter gab es einen Oberkörperschutz und Gelenkschütze (Knie- und Ellbogen), einen Halsschutz und „man solle doch die Munitionspatronen (Grösse: 2 PET-Flaschen) als Genitalschutz verwenden“. Über den Overall gab es dann schon das erste Spielelement eine rote oder eine grüne Weste (In der Schweizer Armee sind es ja sonst eher die Farben Rot und Blau.)
Der Marker – ein Euphemismus für Luftdruck-Gewehr
Dann ging es um das „Wesentliche“ : das Gewehr. Dies ist eine Art Druckluftgewehr (das auch als Waffe gestaltet ist) das murmelgrosse Farbkugeln verschiesst, die beim Aufprall zerplatzen. In diesem Fall ist man „markiert“ (Faust gross). Das „Gewehr“ heisst folgerichtig und euphemistisch „Marker“. Der Marker ist dabei auch eher ein Maschinengewehr als ein klassisches Sturmgewehr. Man schiesst sehr ungenau Farbkugeln durch die Gegend. Das Farbkugeldepot hat etwa 300 Kugeln und man hat nochmals 300 im Lager. Munitionsknappheit spielt also keine Rolle und kann auch folgerichtig im Aussenbereich nachgekauft werden.
Magic Circle – Das Spielfeld
Dann wurde klar gemacht: „Da drin (Auf dem Spielfeld) habt ihr einen Helm an.“ Anschliessend kam eine der klassischen Lehr-Anektoten: „Gerade letzte Woche war da ein Lehrer irgendwo im Aargau, der hat seinen Helm abgenommen und jemand hat ihm ins Auge geschossen. Er ist jetzt auf dem Auge blind!“ Danach wurde erklärt: „Der Marker bleibt draussen, wenn ihr in diesen Bereich (Aufenthalts- /Warteraum) hier kommt. Nachdem wir das Ganze begriffen hatten, konnten wir den das Spielfeld anschauen. Anders als auf dem Bild der Webseite, war das Ganze farbverschmiert, grün, rot. Der Boden eine Art Teppich war rutschig vor Farbe. Es gab 3 miteinander verbundene Räume und einen Seitengang, sowie zwei erhobenen Räume. Daneben gab es diverse kleine Durchbrüche, die nachträglich ins Gebäude eingefügt worden waren.. Es sollte „Häuserkampf“ sein. (Das anschliessende Foto zeigt den Raum vor der Farbschlacht bei der Eröffnung. Heute sind alle Wände im selben grün – orangen klebrigen Einheitsbrei.)
Die Spielmechanik
Die Spielmechanik war schnell erklärt:Die rote Gruppe spielt ausgehend von der ersten Wand, die grüne Gruppe von der anderen Wand zwei Räume weiter. „Wer getroffen wird, der erhebt die Hände und geht langsam raus. Die Gruppe, die zuletzt noch jemanden hat, hat gewonnen.“
Runde 1
Nun ging es los. Team „Grün“ verteilte sich. Und 15 Sekunden später schmerzte es heftig an meiner Schulter – ich war getroffen. Ich hob die Hände und begab mich ungedeckt und immer bereit erneut getroffen zu werden zum Ausgang. Das Resultat der ersten Runde war klar: Zufällig von irgendwem, irgendwoher getroffen. Das Ergebnis unter dem Shirt war schon blutig. (Auch nach 3 Wochen ist der Fleck immer noch sichtbar)
Die erste Lektion hatte ich gelernt. Es ist hier wie sonst in Kriegsszenarien: Der Einzelne wird irgendwie getroffen, sein „Überleben“ hängt nicht unbedingt von seinen Skills ab. Man bemerkt, dabei wie die digitalen Kriegsspiele bis heute versuchen genau den Effekt zu vertuschen und den berechenbaren Kampf ein Mann zu Mann herauslaufen zulassen. Denn: Die erste Runde war fast schon realistisch: Überlebenschance klein.
Im Raum draussen trudelten dann immer wieder Leute ein, getroffen am Kopf, am Arm etc. Dabei war schnell klar: Wer da wen vom Schlachtfeld befördert hatte, war nicht zu eruieren. Die Situationen waren eher zufällig wie man es mit Uniformen beabsichtigt: Es geht nicht um einzelne Personen. Das Ganze ist austauschbar. Die Idee Mann-Gegen-Mann, die auch jedes Firstperson-Shooter-Spiel inszeniert, war nirgends zu finden. Es ging viel zu schnell ohne Bullet-Time-Technologien.
Runde 3
In Runde 3 schlich ich wie alle andern auch durch die Gegend von Wand zu Wand, während überall Farbe zerspritzte. Dabei war unklar woher geschossen wurde, ab und zu sah man einen „Gegner“. Man wartete, versuchte zu schauen, wo er sich versteckte und schoss dann einfach rechts davon hin, wartete bis er auftauchte und „markierte“ weiter. Und manchmal klappte das auch. Neben mir führte plötzlich einer eine Rolle (Purzelbaum mit Gewehr) aus und robbte durch die Farbe. Ich war recht erstaunt, war es doch so, als würde er Knöpfe in einem Computerspiel drücken und dann die Bewegungen ausführen. Jeder der das mal im Realen tun musste, würde nicht mal auf die Idee kommen sowas zu machen. Dann wurde ich am Kopf getroffen. Ich bemerkte es nicht mal. Ich hatte einfach einen grünen Fleck auf meinem Helmvisier. Ich gehe mit erhobenen Händen nach draussen. Da werde ich von mehreren Farbkugeln getroffen. Es ist klar: Da sieht man endlich mal jemanden, also knallt man auf ihn. Ich hatte weitere Flecken an der Hüfte.
Runde 5
In den nächsten Runden beginnt die Truppe taktischer zu spielen und langsam vorwärts zu gehen, Räume abzudecken. Ganz so wie man das im Militär „lernt“ oder bei digitalen Computerspielern „vermittelt“ bekommt. Langsam ist auch klar – das Ganze ist physisch und psyschisch nicht ein Sitzen in der Couch: man schwitzt in den Klamotten und die das Visier beschlägt dauernd. Es ist eine unangenehme Sitatuion. Ich bewege mich als Zielscheibe taktisch nach links, während meine Kollegen über die rechte Seite einen Angriff „lancieren“. Ich bin schon wieder nach 40 Sekunden „markiert“ – dieses mal hat jemand in meinen Mundabdeckung getroffen. Mein Mund und meine Zähne sind voller oranger Farbe. Bis eine Gruppe gewinnt, geht es nun im Durschnitt 10 Minuten. Man versucht auch im Spielprinzip zu varieren: Es wird Capture-the-Flag gespielt mit Nebel und lauter Musik. Ein Spieler der roten Gruppe rennt nach vorne im Nebel und holt sich die Flagge, ohne dass es unsere Gruppe überhaupt bemerkt. Das Spiel ist nach 20 Sekunden vorbei. Nicht viel anders läuft es kurz darauf, als jede Gruppe einen Ballon bekommt, den man beschützen muss. Hier schleicht einer durch die Linien und zerstört zuerst den Ballon und arbeitet sich von hinten durch die gegnerischen Reihen. Die Leute stehen dabei in Nischen und knallen gegen den Feind während sie von hinten „getroffen“ werden.
Taktik
Die Runden ziehen sich hin und es zeigt sich immer mehr, dass die zwei Gruppen anders spielen. Gruppe Grün spielt mehr taktisch und Gruppe Rot mehr auf „Vorwärts – es muss Spass machen.“
Spielmechanik und ein kulturelles Problem
Als Gamedesigner stellt man sich nach dem Spiel die Frage: „Warum ist das alles so langweilig und so unmotiviert?“. Dabei wird schnell klar, dass die Gamemechanik (ausser Konkurrenz) keine Momente produziert. Es schmerzt, wenn man getroffen wird. Man ist viel zu schnell draussen, fürchtet beim Rausgehen um seine Haut. Und wartet dann. Die Uniformen lassen jedes „Ich habe dich da getroffen“ verpuffen. Es gibt keine Namen über den Personen (vgl. Firstpersonshooter), die sagen mit wem man es zu tun hatte, wer einem rausgeworfen hat . Alles ist nur serielle Szenografie und letztlich Statistik. Paintball geniert anders als die Firstpersonshooter keine soziale Dimension des Spielens – die Kämpfer bleiben anonym, sinnlos.
Sinn und Unsinn
In diesem Sinn produziert Paintball etwas, was sonst nur Kriegsliteratur vermag: Es zeigt wie zufällig Krieg ist und war oder anders gesagt: Wie sinnlos der Einzelne dem Ganzen gegenübersteht und wie schnell es vorbei ist. Es gibt keine Heldensagen sondern nur „getroffen werden“, zufällig von irgendwoher und manchmal mit Skills weiterkommen (Aber wer will schon diese Skills). Das ist eine doch die erstaunlichste Erkenntnis des Nachmittags. Hier wird „Kriegsspiel“ eigentlich „unmotivierter“ inszeniert als in Firstpersonshootern. Digitale Spiele inszenieren eben Sinn, sind Sinnsysteme: Sie sind bis ins letzte Polygon sinnvoll gestaltet (Vgl. dazu „Warum FirstPersonShooter alias Killerspiele Spass machen (eine Erklärung auch für Nicht-Spieler)“ ). Paintball dagegen ist letztlich eben kein eigentliches Spiel (Man könnte etwa die Munition auf 10 Farbkugeln beschränken und damit Momente schaffen) sondern eine „Kriegssimulation“, die möglichst ungefährlich sein möchte. In diesem Sinn oszilliert die Szene von Paintball zwischen weniger realistisch und realistischer hin und her. Dabei würde auch jeder weitere Schritt in Richtung „Krieg“ dem Spiel jede letzte Legitimität nehmen. In diesem Sinn bleibt das Spiel „Paintball“ irgendwo im dunklen Graubereich und versucht gerade noch so zu schmerzen, dass es aushaltbar ist. Man will hier zwar Tarnanzüge, aber keinen transzendentalen Sinn „Sieg“. Man will ein bisschen Militärfeeling (Der Instruktor trägt eine Gnäggie (Trikothemdes 75) der Schweizer Armee) aber keine gnadenlosen und umenschlichen Befehlsketten, keine ohrenbetäubenden Gewehre mit Rückschlag, keine zerschlitzten Körper.
Hier „simuliert“ man Krieg, wobei man sich den Sinn und die Spielmechanik immer noch beim unsinnigen Schema „Krieg“ ausborgt. Und wie bei jeder Szene (wie etwa auch die Schiessvereine), die sich in diesem Bereich tummelt, ist es wichtig sie im kulturellen Auge zu behalten.
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