„Wir haben heute ein Bild erschaffen“ – ein Vorschlag zur Benennung des Prozesses und der Resultate im Arbeiten mit generativen AIs [Kurzessay]

Wie sollen wir beschreiben, was wir (tun und) getan haben, wenn wir etwas herstellen bzw. hergestellt haben mit einer AIs. „Ich habe einen Text geschrieben“ oder „Ich habe ein Bild gemacht bzw. generiert?“ oder „Ich habe dieses Programm mit Hilfe einer AI geschrieben?“ (Wobei dann die Frage des Anteils wichtig ist)

Wir – der ehrlichere Autor*

Der Vorschlag hier: Wir sollten das „wir“ verwenden und das aus mehreren Gründen. Dabei sollten wir momentan unterscheiden zwischen einem Borg-Wir (nach der Schwarmintelligenz der Borgs in Star Trek) und einem Mäjestätik-Wir.

Historischer Aspekt – Algoart


Interessanterweise gibt es diese Verwechslung von ich und wir, bei generativen digitalen Arbeiten in den 80-2010er jahren nicht wirklich. Hier war klar: jemand hat den Code geschrieben, also die Grundlage für die algorithmische Kunst. Und die User* haben haben damit rumgespielt. Es war/ist also nicht üblich zu sagen: „Ich habe … „. Noch radikaler wäre es natürlich, wenn man sich die analoge Algoart von Tinguely und Co. anschaut etwa die Zeichenautomaten. Da war die  Mechanik noch direkt physisch vor einem als Apparat. Hier sagt niemand: „Ich habe das erschaffen“. Es ist maximal: „Ich habe die Maschine angestossen und sie hat gezeichnet.“ Andererseits konnte man bei diesen generativen Maschinen auch keine direkten Befehle geben, wie beim ChatGPT und sie anschliessend eingrenzen und verändern (Parameterisierung). Die Maschine so der Eindruck, formte den Output. Die Frage ist allerdings auch bei generativen AIs – shapen nicht diese auch massiv den Output oder sind gar der Output? Legen nicht auch diese den Möglichkeitsraum fest wie klassisch analoge und digitale generative Apparate?

Ichs in der Gutenberggalaxis – Prozessoren

Das Ich in der GutenbergGalaxis musste immer selbst die Texte lesen, sie berarbeiten und aneignen. Erst dann konnte sie damit weiterfahren. Selbst wenn die Ichs der Gutenbergalaxis Zusammenfassungen genommen haben, mussten sie zumindest diese Zusammenfassung rudimentär verstehen. Danach konnten sie den Text weiter prozessieren und selbst schreiben in ihrem Stil. In generativen AIs ist dieser Prozess entkoppelt. Der Text muss/wird nicht verstanden, um ihn zu prozessieren. Auch der ausgelagerte Sklave AI hat kein ‚Verständnis‘ vom Text oder hat sich diesen nicht angeeignet als Regelverständnis. Es sind nicht seine Wertungen und Gewichtungen. Das Gutenberggalaxis-Ich musste alles aneignen, es ins/ans eigene psychische Wissens- und Praxissystem einbauen. In heutigen AIs liegt das Wissen als Diskurswissen von Differenzen und Wertungen vor. Derrida lässt grüssen (Differenz).

Prozess

Der Vorgang ist ja zumindest bei Generativen AIs bewusst als Chat angelegt. Es wird in einem Art simulierten Gespräch etwas „erschaffen“. Eigentlich ist das Ganze kollaborativ inzensiert. Dennoch reden viele Leute vom Endprodukt im Sinne von „Ich habe einen Text geschrieben“. Wenn es gut kommt „mit AI“. Aber eigentlich wurde ein Text in Zusammenarbeit entwickelt. Wobei Zusammenarbeit wiederum viel gesagt ist, die meisten verwenden die AIs als eine Art Sklave. Er/Sie/Es/* hat zu gehorchen. Auszuführen. In diesem Sinn ist es ein spezielles Wir. Dieses Wir erinnert stark an ein Majestätisches – nicht gleichgestelltes kollaboratives – Arbeiten. Es geht da eher selten, um die eigene Sicht der AI. Die AI ist eine Extension (McLuhan) – ein Tool.

Motivation: Faulheit und nicht die andere Sicht auf die Welt

Bei einem Vortrag zu GameAI in einer Vorlesung zu AI an der ETH habe ich die Studierenden* gefragt, wer von ihnen AI benutze, weil er/sie/es/* zu faul sei: 50% haben sich gemeldet. Die Motivation für AI ist damit also oft anders als bei generativer Kunst der 80er/90er Jahre, die eben auch eine andere Sichtweise auf die Welt erwartete. Hier soll für sie produziert werden, nicht weil ihnen die Skills fehlen, sondern schlicht und ergreifend, weil man* sich nicht anstrengen muss. Auch spielt massiv das Majestätik-Wir eine tragende Rolle. Es geht nicht um die andere Sicht – eine andere Welt – eine Sicht, was ein Modell evoziert.

Ethik – die ausgebeutete Menschheit

„Wir“ wäre auch massiv ehrlicher, denn so würde man nicht unterschlagen, dass an diesem Text Tausende, vielleicht Millionen mitgeschrieben und mitgezeichnet haben. Denn die LLMS wurden ja mit menschlichem Input und damit menschlichen Erzeugnissen und Wertungen trainiert. All diese meist Ahnungslosen wurden ausgebeuteten. Ein Wir würde auch klarstellen, dass die meisten AIs eigentlich Borg-Intelligenz (Star Trek) sind. Dabei würde klar werden, dass die AI eigentlich die Menschheit ist (und deren Wertungen). Wir erschaffen in diesen gewichteten Netzwerken ja auch eigentlich gar nichts Neues, wir lesen nur vorhanden Diskurs und damit Gewichtungen aus. Selbstverständlich lesen wir auch nie begangene Wege aus. Wir ziehen eigentlich die Diskurspfade – bestehend oder schon vorgespurt aus. Es ist eigentlich nichts weiter als angewendete Intertext-Theorie und so verwundert es auch kaum, dass die Theorie von LLMs eigentlich von der Linguistik ab den 70er Jahren entwickelt wurde.

Borg-Wir und Majestäts-Wir (das neue Ich)

Das Borg-Wir ist das sich Verstehen als Gemeinschaft. Es hat vielleicht sogar einige kommunistische Züge, indem es anerkennt, dass alle daran gearbeitet haben. Es macht keinen grossen Unterschied in den Prozessoren und anerkennt in ihren jeweiligen Anteil am Prozess. Nur weil eine Maschine menschliches Wissen ‚vermittelt‘ und ausbeutet, werden die Menschen und ihre Gewichtungen nicht herabgestuft.

Das Majestätische Ich, das Wir meint

Das Majestäts-Wir (das vermutlich neue Ich) dagegen ist ein Wir, das wir von Königen kennen. „Wir sind heute aufgestanden“. Was durchaus realistisch ist, denn er wurde gewaschen, angekleidet etc. Und so ist es auch beim Verfassen von Texten/Bildern mit AI. Gearbeitet hat vor allem die AI und darin enthalten all die Anderen. Im Fall des Königs das gemeine Volk. Wenn ein Majestäts-Wir sagt: Ich habe dieses Bild gemacht mit ChatGPT, dann meint es: Ich habe meine Sklaven rausgeschickt. Es ist dieses: Dieses Kirche wurde von König XYZ erbaut. Selbstverständlich wurde es nicht von König XYZ erbaut. Es wurde angeordnet und letztlich sogar bezahlt von seinen Untertanen.

Generative ChatBots verbergen genau das und geben uns diese Majestätsgefühl. Wir haben da einen Sklaven, der keine eigenen Bedürfnisse hat und nicht wieder sprechen können. Man kennt dieses Majestäts-Wir oder Ich natürlich auch von Chefs* oder Kollegen*. Es geht dabei fast immer auch um Macht. Insofern ist ChatGPT und Co eine Fortsetzung der Idee des Computer mit der Turing Maschine: Es ist ein kleiner Mensch, der für uns als Sklave arbeitet. Nur jetzt nicht mehr nur einer, sondern die gesamte Menschheit.

Und so ist auch das neue Ich: Seine Kompetenz besitzt nicht mehr dieses Ich, sondern die AI und damit die Menschheit. Wir werden wohl bald viele Menschen sehen, die noch weniger Allgemeinbildung haben, weil es einfach nicht mehr benötigt wird, wenn es auf Knopfdruck dazu sein scheint. Wenn es eine Art Extension ist im immer verfügbaren Handy. Wir werden also bald sehen, was eine Gesellschaft ist, die Wissen nicht mehr ins eigene System aneignet sondern nur noch als Fakten extern respräsentiert hat.

Gesellschaft – Trumps „Wir“ und wir AI-Nutzer*

Interessanterweise sehen wir gerade in der Weltpolitik dieses majestätische Wir wieder bei Herr Trump und Co bei der Arbeit. Es regiert die Welt genau als dieses Neu-Ich oder als Majestätisches Wir, nur halt mit echten Menschen – während die gemeine Welt gerade ihre kleinen Sklaven als ChatGPT bedient. Der Wunsch ein Majestätisches Wir zu sein wird aber nach den digitalen Sklaven auch wieder auf die analoge Welt überschwappen. Herr Trump ist ein Vorbote davon.

Wer also sein ChatGPT anwirft jeden Tag, sollte immer auch ein bisschen an den Trump in sich denken.

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