Was zuerst aussieht wie ein Spiel auf einem Vectorbildschirm ist ein Ausschnitt aus einem ‚Bilderbuch‘ rund um den CH-Widerstandsheldenmythos Willhem Tell (1962). Dabei ist die virulente Frage offensichtlich: Wie kann man Geschichten (als Nacherzählung, Geschichte, als andere Realität oder als Vision) erzählen? Diese Frage beschäftigt die Menschheit seit ihrer eigenen Entstehung. Dabei ging es immer auch um die Frage der Art der Abbildung oder der Abstraktion bis hin zum Text als Medium.
Warja Lavater Dabei scheint auch das verwendete Medienformat ‚Leporello‘ perfekt zu passen – entfaltet sich doch die Geschichte als lineare Mechanik und ‚Fortschritt‘. Anders als Versuche eine umfassende ikonografische Sprache zu finden (wie bei Otto Neuraths Isotope 1925 dessen visueller Niederschlag heute in fast jeder Infografik zu finden ist) sind die Objekte gemalt. Dadurch besitzt dann jeder Baum, jede Hütte, jeder Bewohner des Waldes eine eigene Identität. Sogar das Rotkäppchen verändert sich leicht im Gang über die Seiten und durch die Szenen. Dwarf Fortress – Textdisplaygrafik Ein Beispiel mit Ähnlichkeiten und doch massiven Differenzen aus der aktuellen Gamekultur ist Dwarf Fortress (2006+). In diesem Aufbaustrategiespiel rund um Zwerge, wird die gesamte Grafik mit dem Standard-ASCII-Zeichensatz in einem ‚Textdisplay‘ (Raster) dargestellt. Es referenziert dabei auf viele ältere Games auf Plattformen wie etwa PLATO (1960+), UNIX oder MS-DOS, viele dieser Spiele nutzen gezwungernermassen Textdisplays mit dem ASCII-Zeichensatz. Bei genauerem Hineinzoomen wird die Struktur klarer und die Gemeinsamkeiten mit Warja Lavaters Arbeit, aber auch die Differenzen etwa: perfekt kopierte Zeichen, alles im Raster, keine symbolische Anpassungen. Dabei ist auch hier die Frage wichtig: Abbildung oder vielfach dann doch auswendig lernen des Zeichens und seiner Bedeutung? Die Komplexität von Dwarf Fortress versteckt sich in einem Zeichensatz (und hier als AddOn in Farben). Grafische Systeme, Bedeutung und Willhell Tell (1962) 1962 wird Willhelm Tell veröffentlicht und zeigt auch gerade, wie komplex es ist mit einem kleinen Set von Formen, Farben, Grösse, Ausrichtung Figuren und ein System zu konstruieren, das genug Differenz erzeugt und dennoch aussagekräftig genug ist (Eine Aufgabe, die auch die ersten Computerspiele mit Vektorgrafiken oder Pixel zu lösen hatten). Interessant dabei etwa: Der grosse und der kleine Tell, die hier eben wirklich der grosse und der kleine Tell sind. Die Unterschiede von Soldat, zu Ritter, zum Tyrannen Gessler. All diese Formen kreieren im Bezug zu den anderen Formen, Farben und Figuren letztlich ein visuelles System. Szene: Bereit zum Schuss – 2 dimensionale Auslegeordnung In den Arbeiten von Lavater sind diese Kodierungen aber nur das rohe Zeichenmaterial. Eine konkrete Szene besteht aus den einzelnen Figuren/Zeichen und ihren Ausrichtungen, den symbolischen Grössen, den Gegensätzen. So wird Tells Sohn auf einmal riesig und der Apfel klein darauf. Es gibt ja auch rein analog viel mehr Sohn zu treffen als Apfel und Tell steht weit weg, ist kleiner als Gessler (Tyrann), der ebenfalls symbolisch einen kleineren Hut als Gesicht besitzt (oder dessen Hut ein umgekehrtes Gesicht ist) und einen grossen schwarzen Körper. Dabei unterstützen seine Soldaten und Ritter seine Macht auch visuell. Szene: Der Schuss – Fokus durch symbolische Grösse Das Geschoss verfehlt den Apfel nicht und beide stecken nun übergross ineinander. Tell ist mit Armbrust „dargestellt“ und umringt von Soldaten steht er vor dem (im Verhältnis) noch grösseren Gessler. Sein Sohn ist wieder auf seine aktuelle Bedeutung geschrumpft und steht neben ihm. Doch da ist auch noch ein Schuss. Was ist mit dem? Der Schuss in der „Hohlen Gasse“ – symbolische Zerstörung Was hier nun wohl passiert ist? Klar ist, dass zwei Dinge getrennt wurden und etwas von einem Pfeil durchbohrt wird. Dekodiert: Kopf Gessler und fallender Hut. Hier wirkt die ganze Szenerie fast schon symbolisch 3Dimensional (zumindest bei den Rittern und bei Gessler). Der Tell ist klein und 2D tötet den Gessler (Wobei gerade hier die Hohle Gasse – sonst oft benutzt – keine Rolle zu spielen scheint). Bedeutungsnetze – auf mehreren Ebenen ‚Liest‘ man den „Willhelm Tell“ von Warja Lavater, stellt sich schnell die Frage: Muss man die Geschichte kennen, um zu verstehen, was hier passiert oder anders gesagt: Erschliesst sich die Geschichte vollständig aus der Darstellung (Es fehlt ja auch jeder helfende Text oder eine Kombination von Bild und Text). Man fängt damit an die Symbole einzubauen und zu ordnen: Eine Menge von Bürgern, mit Tell, Tell Sohn. Eine Frage bleibt: Warum ist der Hut nun auch dabei? Und kommen da Soldaten aus der Burg oder ist diese kaputt? Sicherlich funktioniert das Ganze für jemanden der die Narration schon kennt oder dann als Nacherzählung für jemanden, dem die Geschichte erzählt wird. Dann entsteht ein doppeltes Lesen: Wie verändern sich die Formen/Figuren zueinander, was bedeutet dies für die Geschichte und umgekehrt, was fliesst in das symbolische Erzählen ein. Die Darstellung erlaubt in diesem Prozess einen neuen Umgang mit der Geschichte und ihrer inneren symbolischen Logik über Macht, Unterdrückung, Machtlosigkeit, Aufbegehren und letztlich auch Zeichen und ihrer Darstellung. Games – Ausprobieren der Funktionalität und Bedeutung In Games gab es schon früh sehr abstrakte Figuren (aus technischen Gründen). Der Unterschied hier aber – die Objekte können gesteuert, ihre Interaktion kann ausprobiert werden. Dadurch entsteht eine andere Art von Bedeutungsaufladung. Die Frage ist hier dann: Wie funktioniert die Spielmechanik? Und so werden heute Spielprototypen oft in Boxprototyping oder Grayprototyping ausprobiert. Macht die Spielmechanik auch in Boxen Spass, dann funktioniert es sicher auch mit entsprechender Grafik. Artgames/GameArt Interessanterweise findet sich heute in der ArtGame/GameArt-Szene eine Reihe von Spielen, die sich als Nachfahren von Warja Lavaters Ansatz lesen lassen. So etwa LIM. In LIM ist man als Block unterwegs durch eine abstrakte Welt aus anderen Blöcken und muss herausfinden, was, wie möglich ist. Und dadurch entsteht Bedeutung oder anders gesagt Spielmechanik. Dies als Beispiel unter einigen neuen Spielen. Da kann man dann schon mal rausgeworfen werden aus dem Labyrinth und auch hier ist die Frage: Was erlebe ich da? Was bin ich? Wer bin ich? Wie ist mein Verhältnis zu anderen? Was bedeutet, dass ich mich bewegen, meine Farbe ändern kann? Bemerkung Es gibt Autoreninnen* über die stolpert man immer wieder. Gerade weil sie für ihre Zeit so radikal sind, sind sie oft nicht direkt anschliessbar. Und: deswegen muss man von Zeit zu Zeit auf sie aufmerksam gemacht werden.