Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit
Wie auch die Serie Catch and Hold Fire (Besprochen hier) ist das Buch WIE DIE WELT IN DEN COMPUTER KAM von David Gugerli eine geschichtlich offene Betrachtung von Zeit und Zukunft. Geschichte erscheint hier als ein historischer Moment mit seinen gesellschaftlichen wie technischen Möglichkeiten, Restriktionen, Praktiken, Theorien und Entwicklungsideen. Die damalige Zukunft ist dabei offen und für uns heute geschlossen zugleich.
Gugerli – Professor für Technikgeschichte an der ETH Zürich – geht ‚essayistisch‘ (S.17) der Frage nach, wie die Welt in den Computer kam. Oder konkreter, wie digitale Wirklichkeit entstand und technologisch enwickelt wurde. Dabei zeigt sich schnell, dass die ‚Digitalisierung‘ der Welt ein langer fast hundertjähriger (sich beschleunigender?) Prozess war. Das Buch nähert sich dabei konsequent über Themen wie ‚Rechnen, Programmieren und Formatieren‘ / ‚Teilen und Betreiben‘ / ‚Synchronisieren‘ / ‚Herstellen und Einrichten‘ / ‚Verbinden, Abgrenzen und Speichern‘ / ‚Abschalten der Fragestellung‘.
https://www.tg.ethz.ch/produkte/schaufenster/wie-die-welt-in-den-computer-kam/
(Kommentar: Dabei geht das Buch natürlich auch implizit der Frage nach, wie aus ‚auf Menschen laufenden Medien, auf Maschinen laufende Medien‘ werden konnten – aber vielleicht ist das schon wieder zu positivistisch gedacht.)
Datenverarbeitung 1890+ – Hollerith Lochkartenmaschinen
Lange war eine der wenigen Möglichkeiten, Daten maschinell zu verarbeiten, die Nutzung von Lochkarten.
(Kommentar: Lochkarten wurden einst erfunden zur Steuerung von Webstühlen, steuern aber teilweise noch heute alte Drehorgeln, Musikinstrument etc. Sie sind Aufschreibesysteme mit maschineller Verarbeitungsmöglichkeit).
Hollerith erfand um 1890 die elektromechanischen Lochkartenmaschinen. Ein Anwendungsgebiet war etwa das Volkszählungsamt (census) in den USA oder die spätere Anwendung von Hollorith Maschinen (später IBM) zum Finden und bestimmen des Abstammungsgrad eines Deutschen mit jüdischer Abstammung.)
Eine Hollorith Maschine bestand aus verschiedenen elektromechanischen Maschinen, die je eigene Funktionen hatten. Sortieren, …)
Rechnen, Differentialgleichungen numerisch lösen
Der Autor (S. 28) weist darauf hin, dass viele ‚Computer‘ hochspezialisiert waren. Sie waren gemacht zur Berechnung von kritischen Massen für Atombomben (Vannevar Bush 1939+ siehe How you might think) oder allgemeiner zum Rechnen militärischer Problemfelder (ENIAC etc.). Im Spielbereich ist hier natürlich als ein Hybrid aus all diesen Dingen das Spiel Tennis for Two zu nennen.
Akademisches Rechnen (S. 31)
Alain Turing versuchte biologisch chemische Strukturbildung zu bestimmen. Neumann wollte einen Rechner für möglichst hohe Komplexität (Differentialgleichungen mit 2-3 unabhängigen Variablen). Zuse wollte Matrizen berechnen und dies bei der Rassenforschung und Vererbungsslehre (1942) anwenden (‚ Bei hinreichender Förderung durch den nationalsozialistischen Staat, so das Kalkül, würde sich mit seiner Maschine der Verwandtschaftsgrad von zwei beliebigen Indiviuen bestimmen lassen. Die Nürnberger Gesetze hatten ein rechnerisches Umsetzungsinstrument erhalten.‘ (S.29)).
(Kommentar: Pinballs 50 – 80er Jahre
Wie dieses Rechnen und Prozessieren aussah, kann man sich noch heute in den elektromechanischen Pinballs ansehen. Eine Welt aus Räderwerken Zahnrädern (Zählern) und Relais. Sie wurden von den 50er Jahren bis zu den 80er produziert und wummern noch heute vor sich hin. Das Outlane.ch in Zürich besitzt fast alle Stufen dieser Art der elektromechanischen Pinballs und einige elektromechanische Arcades)
UNIVAC – 1951 – die Fabrikanlage auch in der Privatwirtschaft
Das Buch setzt ein mit der Werbungen zu UNIVAC (Remington RAND). Der Universal Automatic Computer ist kommerziell verfügbar und macht damit den Schritt vom Rechner für Kryptographie, Atomtessimulationen zur privatwirtschaftlichen Anwendung und damit neuen Anwendungsmöglichkeiten und Problemen.